Vollversammlung der Zürcher Jugendbewegung vom 18. Juni 1980 (Volkshaus, Zürich)

  • gsw, ger
  • 1980-06-18
  • Dauer: 00:48:21

Beschreibung

Zu Beginn der Versammlung berichten Arbeitsgruppen über ihre Tätigkeiten. Anschliessend folgen Informationen zu den Vorfällen im und ums Rathaus. Die geschilderten Erlebnisse haben Konsequenzen: Das Feindbild Polizei wird revidiert (das sind ja nur "Knechtli") und es erfolgt der Rat, dass sich Demonstrationsteilnehmer besser vor Tränengas schützen sollten. Von einer Militarisierung der Bewegung wird Distanz genommen, es gehe darum, sich zu schützen (Ratschläge). Eine Sanitätsgruppe wird ins Leben gerufen. Einzelne RednerInnen beklagen sich über mangelnde Solidarität. Eine Grossdemonstration wird vorbesprochen. Sie solle möglichst breit abgestützt sein. Teil 2/2: Vorfälle im Rathaus; Debatte um Militanz oder gewaltfreies Demonstrieren; Solidaritätsadresse aus Deutschland. HINWEIS: DIE UNTERTEILUNG IN TRACKS BETRIFFT NUR DEN AUSLEIHBAREN, PHYSISCHEN TRÄGER (CD).
[Track 01]
00:00:00 Ein Jugendlicher ruft dazu auf, sich am Donnerstag um 13.00 Uhr bei einer Siedlung (bei der Schmiede Wiedikon) mit 58 leerstehenden Wohnungen, die die Stadt verlottern lässt, zu treffen.
00:00:45 Ein Jugendlicher möchte zuerst über die heutigen Ereignisse vor dem Rathaus sprechen.
00:01:06 Ein Jugendlicher erzählt, dass er von Anfang an im Gemeinderatssaal war und feststellen musste, dass alle Anliegen der Jugend auf der Traktandenliste fehlten. Die POCH und die PdA machten ein Postulat wegen Dringlichkeit ihres Anliegens. Dies wurde mit grossem Mehr der bürgerlichen Seite abgelehnt. Aufgrund dieser Ablehnung verliessen die beiden Fraktion und ein paar wenige Politiker der SP unter Applaus der Tribüne den Saal. Auch Leute auf der Tribüne verliessen den Saal. Mit einem Sitzstreik vor dem Gebäude forderten die Jugendlichen einen Gesprächspartner des Gemeinderats. Die Jugendlichen übergaben ihre Forderung einem Gemeinderat der CVP, welcher diese dem Gemeinderatspräsident mitteilen wollte. Die Polizei gewährte dem Politiker aber keinen Einlass ins Gebäude mehr, obwohl dieser noch dreimal mit dem Megafon darum bat. Nach längerem Warten kam ein grösseres Polizeiaufgebot, das von den Jugendlichen vom Platz gedrängt wurde. Danach wurden ca. 15 Polizeiwagen mit je 30 Polizisten aufgefahren. Die Jugendlichen wurden daraufhin von der Polizei mit Gummigeschossen, Holzprojektilen, Tränengas und Wasserwerfern von allen Seiten angegriffen. Passanten begannen den Jugendlichen zu helfen, was bis zu einer Auseinandersetzung zwischen Bellevue und Central führte.
00:05:59 Eine Jugendliche schildert das Ende der Auseinandersetzungen. Die Demonstranten stellen der Polizei ein Ultimatum von 10 Minuten, um ihre Truppen abzuziehen, damit die Jugendlichen ihre friedliche Demonstration auf dem Limmatquai weiterführen konnten. Dies wurde von der Polizei akzeptiert.
00:06:56 Ende Track01
[Track 02]
00:00:00 Ein Jugendlicher schildert, dass entgegen der Behauptung von Presse und Polizei erneut das verbotene, giftige CB-Tränengas eingesetzt wurde.
00:00:28 Ein Jugendlicher schildert, dass er zwei kurze Diskussionen mit den Politikern Jürg Kaufmann und Emilie Lieberherr führen konnte. Emilie Lieberherr äusserte sich kurz zu den Jugendlichen. Ihrer Meinung nach sollten sich die Jugendlichen strukturieren und gewaltlos verhandeln. Weiter fühlt sie sich momentan in einer schlechteren Lage als bisher. Der Jugendliche ist der Ansicht, die Strassendemonstrationen sollten nicht beendet werden, da dies das einzige ist, was die Politiker überhaupt kümmert.
00:02:59 Ein Jugendlicher ist der gleichen Ansicht wie der Vorredner. Er erklärt, dass heute in der Presse die Richtlinien der Stadt Zürich über die Jugendarbeit veröffentlicht wurden. Ausgearbeitet wurden diese Richtlinien schon bevor, die letzte Demonstration stattgefunden hat. In diesen Richtlinien wurde festgehalten, dass ein Jugendhaus nicht unter der Führung von Jugendlichen zu leiten ist. Das autonome Jugendhaus darf nur durch eine private Trägerschaft geführt werden. Zum Einsatz von Tränengas hat er von einem Bericht gehört, der über den „Radio 24“ gesendet wurde. Diesem Bericht zu Folge wurden die Politiker Emilie Lieberherr und Sigmund Widmer beim Verlassen des Regierungsgebäudes von CB-Tränengas getroffen. Äussern wollten sie sich zu diesem Vorfall aber nicht.
00:08:43 Ende Track02
[Track 03]
00:00:00 Ein Jugendlicher hat bei den Auseinandersetzungen eine Frau in hübscher Kleidung beobachtet, die äusserlich nicht wirklich zu den restlichen Demonstranten passte. Die Frau wurde von der Polizei grob zur Seite gestossen und fing daraufhin eine Diskussion mit den Polizisten an. Als der Jugendliche sie ansprach, erklärte sie, sie sei Kantonsrätin und werde sich im Kantonsrat noch mit diesem Thema befassen.
00:01:13 Ein Jugendlicher klärt auf, dass an den Demonstrationen kein CB-Tränengas verwendet wurde. Die Polizei verwendete sogenanntes CS, was kein Tränengas sondern ein Atmungslähmungsgas ist. Dieses Gas kann zur Erblindung führen und ist krebserregend. In den letzten 10 Jahren seien 35 Menschen in Frankreich deswegen erblindet.
00:01:48 Einem Jugendlichen ist es besonders wichtig, dass sich alle Demonstranten am nächsten Samstag schützen können. Er fordert dazu auf, dass alle Tücher zum Schutz bei sich tragen. Noch besser seien Gasmasken oder Taucherbrillen. Er ist der Meinung, dass sich die Jugendlichen nach der heute unverhältnismässigen Reaktion der Polizei wehren können. Er erwähnt nochmals, dass die Gasmasken, die im „Bambus“ erhältlich sind evt. nicht dicht sind. Solche sollten erneut mit Aktivkohle und Watte ausgerüstet werden.
00:04:04 Ende Track03
[Track 04]
00:00:00 Ein Jugendlicher ist mit dem Vorredner nicht einverstanden. Ihm ist es wichtig, dass alle mit einem freien Gesicht an die Demonstration gehen können. Er habe noch nie Tränengas abbekommen, weiche der direkten Konfrontation aber auch aus. [Redner wird ausgepfiffen]
00:01:54 Einem Jugendlichen ist es ebenfalls wichtig, dass man sich an den Demonstrationen schützt. Eine wirksame Waffe seien Steinschlips (Steinschleudern?). Diese seien besonders wirksam, wenn man sie mit Kugellagerkugeln füllt.
00:02:24 Ein Jugendlicher betont, dass auch die Polizei Gasmasken trägt, und die Jugendlichen dann die Einzigen ohne Schutz seien.
00:02:50 Ein Jugendlicher beklagt sich über das gestrige Treffen der Studenten, welche seiner Ansicht nach zu wenig radikal in ihren Ansichten und Handlungen sind. Für ihn ist der einzig richtige Weg die Demonstration auf der Strasse.
00:03:42 Ein Jugendlicher findet es unverständlich, dass man sich gegen einen Schutz vor Tränengas wehren kann.
00:04:18 Ein Jugendlicher betont, dass auch die Studenten demonstriert haben. Auch er findet es richt, wenn die Jugendlichen sich vor dem Tränengas schützen. Er wehrt sich aber gegen eine „militärische Aufrüstung“ u.a. mit Steinschleudern. Man muss sich bewusst sein, dass man jemanden damit töten kann. Er glaubt, dass die Jugendlichen am kommenden Samstag die Lokalität in Beschlag nehmen können, sofern genug Leute anwesend sind und die Polizei nicht dort auf sie wartet.
00:05:41 Ein Jugendlicher spricht sich ebenfalls für einen Schutz vor der Polizei aus und weist darauf hin, dass auch Motorradhelme gegen Gummigeschosse einen guten Schutz bieten.
00:06:14 Ende Track04
[Track 05]
00:00:00 Ein Jugendlicher äussert seine Zustimmung zur Verwendung von Steinschleudern. Als Vorteil sieht er die Möglichkeit, einen Polizisten gefechtsunfähig zu machen. [Publikum pfeift Redner aus]. Er ist zwar gegen die Verwendung von Bleikugeln, befürwortet aber die Nutzung von Glaskugeln, da auch die Polizei Waffen verwendet. Zudem ist er für den Gebrauch von Tüchlein zum Schutz von Tränengas und Fotografien.
00:02:58 Ein Jugendlicher ruft dazu auf, dass die Jugendlichen auf Personen achten, die fotografieren.
00:03:14 Ein Jugendlicher findet es unüberlegt, wenn einerseits dazu aufgerufen wird, Kameras an die Demonstration mitzunehmen und andererseits Steinschleudern zu benutzen. Er glaubt nicht an einen Nutzen von Steinschleudern, sondern glaubt, dass die spontane Kreativität der Jugendlichen viel mehr gegen die Polizei ausrichten kann. Er appelliert an die Intelligenz der Jugendlichen und nicht an ihre physische Stärke. Und er hofft, dass sich eine Gruppe bilden wird, die denn kommenden Samstag organisieren wird.
00:04:10 Ein Jugendlicher möchte gerne nochmals über die Anwendung von Gewalt diskutieren. Er fordert die Jugendlichen auf, sich kreative Dinge einfallen zu lassen und die Polizei mit ihren Ideen auszustechen.
00:05:11 Ein Mann ist der Meinung, dass die Demonstranten während den Ladenöffnungszeiten auch die stark frequentierten Strassen belagern dürfen, um die Gefahr des Einsatzes von Tränengas zu vermindern.
00:05:46 Ende Track05
[Track 06]
00:00:00 Ein Jugendlicher aus Berlin bekundet Solidaritätsgrüsse aus Berlin, Frankfurt und Freiburg. Auch in Berlin und Frankfurt herrscht ein Kampf für ein Jugendhaus. Er schildert die Zustände in Frankfurt, wo Jugendliche ein Haus besetzt haben und gegen eine Konsumveranstaltung „Rock gegen Rechts“ demonstriert haben. An dieser Demonstration zog die Masse durch die Innenstadt und hat geplündert. Ihm ist es wichtig, dass sich die Jugendlichen gegen die Angriffe der Polizei rüsten.
00:01:29 Ein Jugendlicher gibt bekannt, dass nach der Vollversammlung nochmals Aufkleber verteilt werden und bittet das Publikum für den Initiant dieser Idee zu applaudieren.
00:02:05 Ein Jugendlicher möchte über die Gestaltung des nächsten Samstags sprechen und bittet alle, die schon Ideen haben, diese am Mikrofon mitzuteilen.
00:02:37 Ein Jugendlicher wünscht sich, dass die Kundgebungen auch einmal an der Bahnhofsstrasse stattfinden, um den dort anwesenden Menschen ihr Anliegen mitteilen zu können.
00:03:07 Ein Jugendlicher bezieht sich auf die Aussage eines Vorredners, der meinte, dass sich die Jugendlichen über die Polizisten erheben sollten. Er findet aber, dass alle Menschen (auch Polizisten) gleich sind.
00:03:40 Ein Jugendlicher ist der Meinung, dass alle Anwesenden von der Stadt Stundenlohn für die viele Arbeit erhalten sollten.
00:03:51 Ein Jugendlicher gibt die Idee eines Freundes bekannt, dass man sich bei einer solch grossen Menge Personen überlegen könnte, ob man nicht den Verkehr am Hauptbahnhof behindern wolle. Dieser Freund und sein Kollege haben sich auch noch weitere sinnvolle Aktionen überlegt.
00:04:38 Einem Jugendlichen fehlt bisher die nötige Solidarität an den Demonstrationen. Er wünscht sich mehr Militanz in Form von gemeinsamen Sitzstreiks etc.
00:05:31 Ein Jugendlicher empfindet die Aktionen auf der Strasse als sehr wirkungsvoll, denkt aber auch an das Engagement im Hintergrund bzw. nicht auf der Strasse. Er fragt das Publikum, ob sie auch bereit seien, in den Ort der Roten Fabrik zu investieren und nebst den Strassenaktionen ihre Zeit für ein Jugendhaus zu investieren. Er macht den Vorschlag, dass die Rote Fabrik als Lokalität vom Liegenschaftsamt frei gegeben und der Präsidialabteilung übergeben wird. Zu diesem könnte ein direkter Kontakt hergestellt werden, wo die Jugendlichen sich äussern könnten.
00:07:11 Ein Jugendlicher schildert, dass er letzte Woche in der Lokalität an der Limmatstrasse war und eine Theatergruppe „Komedie“ angetroffen hat. Diese hatte bisher einen Mietvertrag mit der Präsidialabteilung, welcher aber gekündigt wurde und dies mit der Begründung, dass die Stadt in Anbetracht der kommenden Ereignisse für die sichere Aufbewahrung ihrer Utensilien nicht garantieren kann. Er empfindet das Verhalten der Präsidialabteilung als ungerechtfertig. Die Theatergruppe erklärte sich mit der Jugendbewegung solidarisch und distanzierte sich vom Theaterspektakel. Der Politiker wolle sich als grosser Macher aufspielen. Ausserdem werden am Event viele ausländische Gruppen teilnehmen, was die Preise in die Höhe treibt.
00:09:04 Ende Track06
[Track 07]
00:00:00 Ein Jugendlicher stellt noch einmal fest, dass die Jugendlichen nicht nur die Liegenschaft Limmatstrasse, sondern auch die Rote Fabrik benötigen. Diese insbesondere für Feste und Veranstaltungen. Letzte Woche haben Gespräche zwischen der Stadt und der IG Rote Fabrik stattgefunden, an welchem aber klar wurde, dass das Opernhaus nicht bereit ist, aus ihren Räumlichkeiten in der Roten Fabrik auszuziehen. Er zieht daraus den Schluss, dass ein Kampf auf der Strasse weiterhin nötig ist. Man muss auch für die Rote Fabrik und nicht nur für die Limmatstrasse kämpfen.
00:01:35 Ein Jugendlicher konnte sich bisher nicht zwischen der gewalttätigen und der gewaltlosen Form als Demonstration entscheiden, weswegen er sich Alternativen überlegt hat. Sein Vorschlag wäre u.a. die Sperrung von Strassen, um Druck von aussen (Bund, Kantone) auf die Stadt zu erzeugen. Weiter fordert er mehr Solidarität, welche die Jugendlichen beim Treffen am nächsten Samstag beweisen können, indem jeder mindesten fünf weitere Teilnehmer mitbringt.
00:03:05 Ein Jugendlicher gibt bekannt, dass die Polizei sich bereits für den kommenden Samstag rüstet. Es sei darum besonders wichtig, dass alle Jugendlichen Utensilien zum Schutz bei sich tragen.
00:03:38 Ein Jugendlicher ist der Ansicht, dass die Jugendlichen sich heute zu schnell von der Strasse zurückgezogen haben. Die Polizei habe Angst davor, dass die Jugendlichen vielleicht jede Woche solche Demonstrationen veranstalten; er ist der Meinung, dass diese Gespräche der Polizei keine Angst machen.
00:04:34 Ein Jugendlicher bemängelt das Fehlen von Sanitätsgruppen und fordert die Jugendlichen auf sich in kleinen Gruppen zusammenzuschliessen und Verbandszeug etc. bei sich zu tragen.
00:05:12 Ende Track07
[Track 08]
00:00:00 Ein Jugendlicher bittet Teilnehmer der Demonstrationen, welche einen Sanitätskurs besucht haben, Sanitätsarmbinden zu tragen und Verbandszeug bei sich zu haben, damit Verletzte wissen, an wen sie sich wenden können. Zusätzlich sollen alle mehr Tücher und Zitronen als sie selbst benötigen bei sich zu tragen, um anderen aushelfen zu können. Allgemein soll man sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um andere kümmern.
00:00:50 Ein Jugendlicher ist der Ansicht das dieser Kampf ein Kampf gegen den Staat ist, der alle vernichten will.
00:01:55 Ein Jugendlicher hat die Idee, die Haftwagen der Polizei mit Feuerlöschern vollzuspritzen. Dies würde sie an der Weiterfahrt hindern und der Schaum ist schwierig zu entfernen.
00:02:22 Ende Track08
Dieses Dokument wurde mit der Unterstützung von Memoriav erhalten.
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