57. Eidgenössisches Turnfest vom 21.- 25. Juli 1922 in St. Gallen

Rezeption

Der sorgfältig aufgenommene und edierte Film entstand in Zusammenarbeit von Leuzinger und einem Theodoer Leopold aus St. Gallen mit dem Eidgen. Turnverein. Der Film fand eine intensive und lange Auswertung in mehreren Kopien - im Firmenarchiv fanden sich zwei praktisch identische Kopien und Reste einer dritten. Er wurde via Turnvereine in der ganzen Schweiz verliehen. Im Wanderkino Leuzinger fand die bisher früheste nachgewiesene Vorstellung am 30.7. 1922 in Adliswil (ZH) statt; der Film wurde im Wanderkino Leuzinger auch in der ganzen Saison 1923 gezeigt, und in den Inseraten wurde jeweils speziell darauf hingewiesen, dass die Turner des Gastspielortes zu sehen seien.

Der Film war 1925 bei W. Leuzinger noch im Verleih wie aus einer Mitteilung in der STZ hervorgeht:
"Dann sind noch Films von folgenden Festen vorhanden: Eidgenössisches Turnfest St. Gallen, Kantonalturnfeste von Örlikon und Glarus, alle bei W. Leuzinger in Rapperswil erhältlich, letztere zum Mietpreis von Fr. 10.- (...)." (Schweizerische Turnzeitung, 6.11.1925, S. 610)

Vom Turnverein selber wurde er zu Werbezwecken eingesetzt:
"(...) Nachschrift. Diese Ausführungen bildeten den grössern, geschichtlichen Teil eines Propagandavortrages, bei dem erstmals die Lichtbilder des Eidgenössischen Turnvereins verwendet wurden. Der Sektionswettkampf und die drei Arten des Einzelturnens wurden durch zirka 50 Diapositive vorgeführt, worauf noch der Film vom St. Gallerfest abrollte und mit noch lebensvollerer Anschaulichkeit die Veranstaltungen abschloss. Der Schöpfer der Lichtbildersammlung sowohl, als die Redaktion haben mich um Veröffentlichung ersucht. Der Vortrag zeigt eine Art, wie für unsere Sache geworben werden kann und bietet eine allgemeine geschichtliche Grundlage, die da und dort Interesse und für ähnliche Zwecke Verwendung finden dürfte. (...)." (Schweizerische Turnzeitung, 20.6.1924, S. 304)

Produktion

Ein Vertrag vom 12.7.1922 im Firmenarchiv gibt Auskunft über die Produktion des Films (Signatur LA 912. Laut Vertrag zahlten die Herren Leopold und Leuzinger dem Eidg. Turnverein 100.– Konzession und mussten 150m zu Lehrzwecken gratis liefern, die Aufnahmen erfolgen getrennt, sie bekommen Zutritt und Ausweise auch für Hilfs-Operateure. Ergänt wird der Vertrag durch eine Vereinbarung:
Vereinbarung vom 9.9.1922 in Ausführung des Vertrags vom 12.7.1922 zwischen Pressekomitee (ETV, ML) und den Kontrahenten, Th. Leopold in St. Gallen und W. Leuzinger in Rapperswil.
Die Aufnahmen der Kontrahenten sind in zwei Filmen zusammengestellt, von denen einer im Besitz von Leopold, der andere im Besitz von Leuzinger ist. Die Vermietung erfolgt administrativ über Leopold, logistisch (Spedition) über Leuzinger, die Einnahmen werden monatlich hälftig geteilt. Jeder erstellt von dem von ihm aufgenommenen Film auf eigene Kosten Kopien, davon gehen vertragsgemäss zu Lehrzwecken welche ans technische Komitee des ETV.
(Es scheint sich um zwei unterschiedliche Filme zu handeln...). Nach erfolgter Auswertung wird das Miteigentum aufgehoben, und jeder Film geht in den Besitz dessen über, der ihn aufgenommen hat.

Anlass

"Unter Kanonendonner fuhr der Fahnenzug – es war Samstag Abend kurz nach 6 Uhr – in der Gallusstadt ein. Die sinnig dekorierte Lokomotive trug vorn das Landeswappen, flankiert vom Basler- und St. Gallerschild, sowie den vier F. Farbenfrische Kränze vervollständigten das Dekorum des S.B.B.-Kolosses, dem die Ehre der Führung zuteil geworden war. Schmetternde Klänge der Stadtmusik, lautes Hallo der harrenden Menge, begeisterter Widerruf der Zugsinsassen, als der lange Zug majestätisch in die weite Halle des Bahnhofs rollte. Ein kurzes Grüssen und Ordnen, dann bewegte sich St. Gallens erster Festzug durch ein gedrängt spalierbildendes Publikum gegen den Festplatz, wobei ungezählte Blumen, die Gruss und Freude zugleich bedeuteten, von allen Seiten fielen, wiederum Freude auslösend. Vor der Reithalle fand die offizielle Übergabe der Zentralfahne an die St. Galler Festorgane statt. Beide Redner, sowohl Herr a. Ständerat Paul Scherer-Basel, als Herr Stadtammann Dr. Scherrer-St. Gallen ernteten mit ihren Ansprachen (siehe Turnzeitung Nr. 32) den rauschenden Beifall der ansehnlichen Versammlung. Die sehr schmeichelhaften Komplimente, die dabei für den Eidg. Turnverein und seine Bestrebungen zum beredten Ausdruck kamen, bilden eine seltene Genugtuung für alle Vorkämpfer der Turnsache und ebenso sehr eine kraftvolle Ermutigung an die Adresse der heute an leitender Stelle stehenden Behörden. Mit dem Absingen der Nationalhymne schloss der eindrucksvolle Akt, dann gings in kurzem Zuge zur Festhütte, in deren Getriebe er sich auflöste und verlor.
(Schweizerische Turnzeitung, 25.8.1922, S. 387)

(…) „Mit vorbildlicher Präzision führten 10 000 Turner unter sicherer Führung die seit Wochen sorgfältig eingeübten zwei Führungsgruppen aus. Überwältigend, unbeschreiblich ist der Eindruck, den diese imposante, von einem Willen und einem Befehl geleitete Vorführung als der Glanzpunkt jedes Eidg. Turnfestes immer und immer wieder auf jeden Zuschauer auszuüben vermag. Man muss sie gesehen haben, diese vom rechten Turnergeiste beseelten Bewegungen, dieses Kreisen und Heben der sonngebräunten Arme, dieses ausgeglichene Beugen des Rumpfes, begleitet von den wuchtigen Klängen der Stadtmusik, die so treulich mitgeholfen, den turnerischen und vaterländischen Zusammengehörigkeitsgedanken zum wohldisziplinierten Ausdruck zu bringen. Wem ist da das Herz nicht entflammt bei diesem märchenhaften Anblick! Wie ein Kornfeld, das sich im Winde hin- und herbewegte, war es anzusehen, dieses wundervolle Bild der Einheit und Geschlossenheit. Wem drängten sich nicht jene ergreifenden Worte im Rütlischwur auf: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern … Feierliche Stille, Verwunderung und Ergriffenheit rings in der weiten Runde. Erst nur schüchtern, dann lawinenartig wachsend kam die Stimmung des Herzens zum spontanen Ausdruck.“ (…) Jetzt sollte St. Gallen zu seinem Rechte kommen und dem Weichbild der Stadt durch den Festzug die Ehre gegeben werden. Derselbe erhielt dadurch ein die Turnerschaft ehrendes, für die Bevölkerung interessantes Moment mehr, dass die Bundesbehörden und die Vertreter verschiedener Kantonsregierungen mit den, in ihre typischen farbigen Mäntel gekleideten Weibeln, ebenfalls mitmarschierten und neben dem solennen Zug der übrigen Ehrengäste und der leitenden Organe Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit waren. Speziellen Reiz gaben wiederum eine historische Reitergruppe, die kostümierten Jugendriegen, die Ehrensektionen des Eidg. Turnvereins, die ausländischen Vereine und Delegationen und eine allegorische Gruppe, Helvetia, auf hoher Warte tronend, umgeben von den Kindern des Volks. Acht Musik- und 21 Trommlerkorps waren in den genau eine Stunde langen Festzug eingestreut, dessen Ende noch nicht abmarschiert war, als die Spitze bereits wieder auf der Kreuzbleiche einrückte. Was an Volk in allen Strassen und Gassen, auf den Plätzen, an Fenstern und Balkonen der Heerschau beiwohnte, spottet jeder Beschreibung. Kopf an Kopf stand jedes Plätzchen gedrängt voll und es war ein allgemeines Staunen und Bewundern ob des nicht absehbaren, endlosen Zuges der weissen Scharen. Die Turner verdienen für ihr diszipliniertes, strammes Auftreten ein uneingeschränktes Lob. Sie haben dadurch mitgeholfen, das Ansehen der Turnsache zu mehren und im besondern den guten Ruf des Eidg. Turnvereins zu festigen. Sehr angenehm aufgefallen ist, dass die früher so beliebten Fastnachtiaden bis auf ein unbedeutendes Rudiment verschwunden sind. Das fördert den Ernst und die Würde eines derartigen Propagandamittels – etwas anderes ist ja ein Festzug nicht – und sichert seine Wirkungen in hohem Masse. (…)" (Schweizerische Turnzeitung, 1.9.1922, S. 398)

Quellen zum Anlass:
Thurgauer Zeitung, 20.7.1922 (Vorankündigung des ETF St.Gallen)
Thurgauer Zeitung, 22.7.1922 (Bericht Turnfest)
Der Sihlthaler, 29.7.1922 (Inserat Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 25.8.1922, S. 387 (Bericht Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 1.9.1922, S. 398 (Bericht Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 8.9.1922, S. 409-413 (Bericht Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 15.9.1922, S. 421-423 (Bericht Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 22.9.1922, S. 433-435 (Bericht Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 29.9.1922, S. 445-449 (Bericht Turnfest)
Schweizerische Turnzeitung, 6.10.1922, S. 457-463 (Bericht Turnfest)